Leseprobe

Einleitung (als PDF)

 „I’m going to talk about gender today! (Woo! Gender!)“

Shana Mlawski, Bloggerin

Im Jänner 2011 geriet die Krawatte im deutschen Bundestag zum Politikum. Stein des Anstoßes war das Pochen auf die Krawattenpflicht für jene Bundestagsabgeordneten, welche die Schriftführung und Sitzungsleitung innehaben. Die Krawattenpflicht sollte dazu beitragen, die Würde des Hauses zu bewahren. Die Vorschrift gilt freilich nur für Männer. Weibliche Abgeordnete werden vage ersucht, angemessene Kleidung zu wählen. Eine genaue Vorstellung davon, wie Frauen im Politbetrieb auszusehen haben, hat die ukrainische Regierung. Für alle Mitarbeiterinnen in den Kabinetten wurde 2009 eine Kleiderordnung erlassen: Kurze Röcke, Stöckelschuhe, auffällige Stoffmuster und knalliger Lippenstift sind ihnen seither verboten. Die Kleidervorschrift im türkischen Parlament wiederum sah vor, dass weibliche Abgeordnete im Rahmen ihrer Tätigkeit zwingend einen Rock tragen mussten. Erst 2011 wurde diese Regelung aufgehoben.

Kleidung ist nicht nur Ausdruck des persönlichen Geschmacks, sondern repräsentiert darüber hinaus die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, sie signalisiert den gesellschaftlichen Status, wie die hierarchische Stellung. Das Wissen um die situativ passende Kleiderordnung wird meist als bekannt vorausgesetzt. Dresscodes sind fixer Bestandteil jedes beruflichen Engagements. Im Kontext der Politik sowie in weiten Teilen der Geschäftswelt hat sich als Ausdruck von Seriosität und Kompetenz für Männer Anzug und Krawatte als Uniform etabliert, die für jeden beruflichen Anlass kleidet. Politisch aktiven Frauen steht eine solche standardisierte Uniform nicht zur Verfügung. Sie kämpfen mit divergierenden Anforderungen an ihre Garderobe seit den Anfangstagen ihrer Teilhabe am politischen Prozess. Denn: „Obwohl niemand eine Autorität dafür war, welche Kleidung angemessen wäre, waren doch alle plötzlich Kritiker. Viele haben das Mittel der Stilkritik verwendet, um die Führungsstärke von Frauen in Zweifel zu ziehen oder ihre Eignung für die Politik generell zu hinterfragen.“ Obwohl die Krawatte im öffentlichen Kontext nicht mehr in allen Fällen zwingend vorgeschrieben ist, symbolisiert sie wie kaum ein anderes Kleidungsstück die Teilhabe am öffentlichem Leben, sie verknüpft auf einzigartige Weise Entscheidungsmacht und Gestaltungswillen mit dem idealtypischen männlichen Erscheinungsbild. Ein Kleidungsstück, das Ähnliches transportieren würde, findet sich im Kleiderschrank einer Frau nicht.

Auf Bildern, die die Mächtigen dieser Welt zeigen, wird allein anhand der Kleidung augenscheinlich, welche Sonderstellung Frauen in der Politik noch immer haben. Freilich es gibt sie: Politikerinnen, die in die wichtigsten Ämter vorgedrungen sind und auf den höchsten Ebenen der Macht mitmischen. Wenn eine Politikerin zwischen all den schwarzen Anzügen auffällt und damit Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird zweierlei sichtbar: Erstens stellen Frauen im Politbetrieb immer noch eher die Ausnahme als die Regel dar. Zweitens sind die vorherrschenden Regeln des Männerterrains Politik, beginnend bei etwas so Grundlegendem wie der Kleiderordnung bis hin zu diffizilen Ritualen der Macht, nicht geschlechtsneutral. Sie sind von Männern genormt und auf ihre Verhaltensmuster und Lebensentwürfe zugeschnitten.

Nun hat sich in den letzten Jahrzehnten viel verändert. Weltweit gelangen immer mehr Frauen in politische Machtpositionen. Sie sind Präsidentinnen, Ministerinnen, Bürgermeisterinnen und Abgeordnete. Sie stimmen über Gesetze ab, regen Initiativen an, bedienen sich ihres Einflusses, um politische Vorhaben Realität werden zu lassen, führen Wahlkämpfe, gewinnen oder verlieren sie. Doch das Vordringen der Frauen in die Männerdomäne Politik verläuft keineswegs kontinuierlich. Warum erweist sich das Erreichen von zumindest quantitativ egalitären Vertretungsstrukturen als so zäh? Der Frauenanteil unter den Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat etwa ist rückläufig: Waren 2002 noch 33,9 Prozent aller Abgeordneten weiblich, liegt der Frauenanteil heute – zehn Jahre später – nur mehr bei 27,3 Prozent.

Die Gründe für die mangelnde politische Präsenz von Frauen sind so vielschichtig und zahlreich wie die Hindernisse, die Frauen im Verlauf ihrer politischen Karriere zu überwinden haben. Historisch betrachtet wurde der demokratische Apparat in seiner Ausgestaltung wie wir ihn heute noch kennen, in einer Zeit entwickelt, als Frauen von jeder Partizipation explizit ausgeschlossen waren. Als Frauen sich ihr Recht zur Teilhabe im politischen Prozess erkämpft hatten, hatten Männer die Spielregeln, die formalen Abläufe und demokratischen Verfahren sowie sämtliche Institutionen der Politik längst entworfen und festgelegt. Die Teilhabe von Frauen, ihre spezifischen Lebensentwürfe und Interessenslagen wurden in der Gestaltung der demokratischen Strukturen nicht mitgedacht. Diese rein männliche Entwicklung von Demokratie hat relevante Auswirkungen für die politische Kultur von heute. Doch die Historie allein erklärt die Benachteiligung von Frauen im Politbetrieb nicht. Neben den männlich codierten Politstrukturen spielen weitere Faktoren eine bedeutende Rolle, etwa die massiv ungleich verteilte Arbeitsbelastung im familiären Bereich, die es Frauen wesentlich schwerer macht, etwa auf kommunaler Ebene überhaupt in den Politbetrieb einzusteigen oder die konkrete Gestaltung von Wahlsystemen, die eine direkte Wirkung darauf hat, ob Frauen Mandate erringen. Die Finanzierung von Wahlkämpfen, die Strukturen oder Rekrutierungsmuster der Parteien – all diese Komponenten wirken daran mit, dass Frauen in der Politik schwerer Fuß fassen. Das Bild von Politik und dem Berufsstand des Politikers selbst orientiert sich vor allem an männlichen Vorbildern: Was zählt sind Durchsetzungsstärke und Führungswille, und beides wird Männern eher zugeschrieben. Wesentlich dafür ist die Entwicklung von Geschlechterrollenbildern, die unsere Welt in männlich und weiblich entlang der Pole öffentlich und privat ordnen. Das biologische Geschlecht selbst ist dabei ein Faktor, der kaum Unterschiede im Handeln sichtbar macht. Demgegenüber steht das soziale Geschlecht, das von uns inszeniert und damit jeden Tag neu konstituiert wird. Wir wollen als Frauen und Männer wahrgenommen werden und inszenieren uns deshalb so: in Gesprächen, durch unsere Kleidung, mit unserer Frisur. Geschlechtstypische Inszenierungen und die Wirkmacht stereotyper Bilder in unserem Alltag sind auch Teil jedes politischen Systems. Rollenbilder und die Erwartungshaltungen, die sich damit implizit auch an all jene knüpfen, die in der politischen Arena mitmischen, spielen in der politischen Auseinandersetzung eine bedeutende Rolle.

Politikerinnen werden mit durchaus widersprüchlichen Erwartungen in ihrer Rolle als Frau und in ihrer Rolle als Politikerin konfrontiert. Dieser Zwickmühle der divergierenden Ansprüche können Frauen kaum entgehen. Treten sie betont männlich auf, gelten sie schnell als unweiblich, man unterstellt ihnen ein Problem mit ihrer Weiblichkeit, sie laufen Gefahr, als „Mannsweib“ verunglimpft zu werden, zumindest aber nicht authentisch zu wirken. Betonen sie hingegen als typisch weiblich geltende Eigenschaften, agieren sie ausgleichend und diplomatisch, wird ihnen alsbald fehlender Mut unterstellt oder mangelnde Durchsetzungsstärke bescheinigt. Wie sich eine Frau im Politalltag bewegen soll, der – unabhängig von ihrer Person – jedenfalls einem Spießrutenlauf gleicht, ist daher für jede Einzelne weder aus strategischer noch aus persönlicher Sicht einfach zu beantworten. Die Ebene der Inszenierung umfasst in der Politik wie im Leben ein weites Feld, in dem manche Unterschiede in den Darstellungsleistungen von Männern wie Frauen zu beobachten sind. Kleidung, Körpersprache, Stimme, Mimik und Frisur, um nur einige zu nennen. Nur folgerichtig zeigen sich selbst in der bildsprachlichen Inszenierung von Frauen und Männern, etwa bei ihrer Darstellung auf Wahlplakaten oder bei der Auswahl thematischer Schwerpunkte, Differenzen.

Eine Rolle in der Konstruktion der unterschiedlichen Wahrnehmung von Frauen und Männern im politischen Prozess kommt auch den Medien zu. Auf zwei Ebenen verfügen Frauen über deutlich andere Voraussetzungen als ihre männlichen Kollegen. Einerseits ist der Medienbetrieb selbst männlich dominiert, insbesondere in den sogenannten „harten“ Themen wie Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik. Andererseits wird über Politiker-innen anders als über ihre Kollegen berichtet: Das Private besitzt einen deutlich höheren Stellenwert und sie erlangen nicht dieselbe mediale Präsenz wie männliche Politiker. All diese kleinen Unterscheidungen schreiben sich schlussendlich in der Wahrnehmung der Wählerschaft fort und stellen damit Spitzenkandidatinnen vor besondere Herausforderungen. Diese Beobachtungen beziehen sich dabei weder auf bestimmte Medien noch auf einzelne Länder oder auf einzelne Berufsfelder. Die unterschiedliche Wertigkeit von eher männlich dominierten Bereichen und eher weiblichen dominierten Bereichen beschränkt sich auch nicht nur auf die Politik. Sie ist vielmehr ein Symptom sehr tief verankerter struktureller Wahrnehmungs- und Bewertungsunterschiede, die in allen Lebensbereichen wirkmächtig sind: Ob im Sport, in der Filmindustrie oder im Literaturbetrieb – die Leistung von Männern und Frauen unterliegt in der Bewertung nicht denselben Kriterien.

Same same but different? 

Wer sich mit Geschlechterrollen beschäftigt und Stereotypen nachspürt, gerät schnell ins Fahrwasser einer schlichten Weltsicht: Frauen verhalten sich so, Männer ganz anders, unterschiedlich allemal. Tatsächlich sind messbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern vielerorts unbedeutend oder gar nicht vorhanden. In Summe ergeben sich deutlich mehr Ähnlichkeiten als Abweichungen. Trotzdem kommt der Frage Mann oder Frau im Alltag eine enorme Bedeutung zu. Das biologische Geschlecht ist ein grundlegendes Ordnungskriterium unseres Lebens. Das allein wäre vielleicht nicht weiter problematisch, allerdings sind die daran geknüpften gesellschaftlichen Chancen unterschiedlich verteilt: Und das meist zum Nachteil von Frauen. Ein Beispiel: Eine Stichprobe von Hochbegabten, die über Jahrzehnte beobachtet wurden, belegt, dass Frauen, obwohl sie Männern intellektuell in nichts unterlegen waren, im Verlauf ihres Lebens beruflich weniger erfolgreich waren. Die Konsequenzen der Geschlechtszugehörigkeit mögen also auf psychologischer Ebene noch so gering sein, ihr Einfluss auf Lebensplanung und Gestaltung ist immens. Die angeführten Fallbeispiele, Ausführungen und Hinweise im vorliegenden Buch laufen selbstverständlich Gefahr, in ihrer Pauschalität auf den Einzelfall nicht zuzutreffen, dies ist jedenfalls mitzubedenken. Gleichzeitig kann auch der Einwand erhoben werden, dass das Aufzeigen und Betonen von geschlechtstypischen Verhaltensweisen genau diese weiter fortschreibt und damit einzementiert. Dem Einwand ist einiges abzugewinnen, doch wenn man Unterschiede nicht benennen kann, wird im nächsten Schritt auch das Entwickeln von Maßnahmen und Strategien hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft erschwert beziehungsweise verunmöglicht.

Pionierin sein allein reicht nicht

Das Aufzeigen von Handlungsspielräumen in der Praxis und das Ausloten des Änderungspotenzials im politischen System, sowohl auf struktureller wie auf individueller Ebene, will einen Denkanstoß liefern, der konkrete Unterstützung bei der eigenen Rollendefinition gibt. Insbesondere für jede Einzelne, die es wagt, aus der Rolle zu fallen und sich an die politische Front zu stellen. Der Mut und das Durchhaltevermögen, das Engagement gepaart mit hoher Frustrationstoleranz von aktiven Politikerinnen ist mehr als wertzuschätzen, doch ihr Einsatz allein setzt benachteiligende Mechanismen und strukturelle Gegebenheiten noch nicht außer Kraft. Am Ende ist es ein Dreiklang unterschiedlicher Maßnahmen, der es Frauen zukünftig vielleicht erlaubt, in politischen Strukturen mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu agieren wie ihre Kollegen. Dazu zählen erstens Änderungen in den Entscheidungs- und Machtstrukturen des Politbetriebs, etwa wenn es um die Gestaltung von Wahlsystemen oder Fragen der Quotierung geht. Zweitens braucht es strukturelle Unterstützungsleistungen, die sich beispielsweise nicht auf einen bloßen Vernetzungscharakter beschränken, sondern es Frauen erlauben, sich in unterschiedlichen themenfokussierten Kontexten zu bewegen. Und schlussendlich bedarf es einer Neubewertung des allgemeingültigen Bildes von Politik überhaupt. Ein erster Schritt dazu ist die kritische Überprüfung und Reflexion der eigenen Erwartungshaltung an das politische Personal.

Social Widgets powered by AB-WebLog.com.